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- Amazon-Verkaufsrang: #853893 in Bücher
- Veröffentlicht am: 2003-01-31
- Einband: Gebundene Ausgabe
- 700 Seiten
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19 von 19 Kunden fanden die folgende Rezension hilfreich.
Ein guter Einstieg in Kafkas Welt
Von G. J. Matthia
»Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor, und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte.«So beginnt ein Roman, der kein Ende hat. Die Erzählung bricht ab, unvermittelt, weil der Autor nicht dazu gekommen ist, einen Schluss zu verfassen. Er hat das Fragment unvollendet beiseite gelegt. Der Leser wird am Ende des Buches mitten auf der Strecke allein gelassen. Die letzten Sätze: »Am ersten Tag fuhren sie durch ein hohes Gebirge. Bläulich-schwarze Steinmassen gingen in spitzen Keilen bis an den Zug heran, man beugte sich aus dem Fenster und suchte vergebens ihre Gipfel, dunkle, schmale, zerrissene Täler öffneten sich, man beschrieb mit dem Finger die Richtung, in der sie sich verloren, breite Bergströme kamen, als große Wellen auf dem hügeligen Untergrund eilend und in sich tausend kleine Schaumwellen treibend, sie stürzten sich unter die Brücken, über die der Zug fuhr, und sie waren so nah, daß der Hauch ihrer Kühle das Gesicht erschauern machte.«Und dann? Und nun? Wohin geht die Reise? Was wartet am Zielbahnhof auf uns? Kommen wir wirklich im Theater in Oklahoma an? Wir werden es von Franz Kafka nicht erfahren, es bleibt uns allerdings unbenommen, mittels unserer Phantasie diese Geschichte fortzusetzen.Zwischen diesem Anfang und diesem offenen Ende entfaltet sich ein in vielfacher Weise zeitloser Roman, den ich mit großem Vergnügen gelesen habe. Es ist, so meint der Leser zunächst, der amerikanische Traum, der hier geträumt wird. Der Weg aus dem engen, dunklen, bedrängenden Europa in die Weite, Freiheit, Helligkeit Amerikas, in das Land, in dem man vom Tellerwäscher zum Millionär werden könnte. Auch unserem Helden Karl scheint sich diese Möglichkeit zu eröffnen, auch und erst recht, nachdem er beim ersten Anlauf in New York gescheitert ist. Denn er bekommt eine Anstellung im Hotel:...Die Oberköchin schien das als eine angenehme Nachricht aufzufassen. »Dann sind Sie also frei?« fragte sie. »Ja, frei bin ich«, sagte Karl, und nichts schien ihm wertloser. »Hören Sie, möchten Sie nicht hier im Hotel eine Stelle annehmen?« fragte die Oberköchin. »Sehr gern«, sagte Karl, »ich habe aber entsetzlich wenig Kenntnisse. Ich kann zum Beispiel nicht einmal auf der Schreibmaschine schreiben.« »Das ist nicht das Wichtigste«, sagte die Oberköchin. »Sie bekämen eben vorläufig nur eine ganz kleine Anstellung und müßten dann zusehen, durch Fleiß und Aufmerksamkeit sich hinaufzubringen. Jedenfalls aber glaube ich, daß es für Sie besser und passender wäre, sich irgendwo festzusetzen, statt so durch die Welt zu bummeln. Dazu scheinen Sie mir nicht gemacht.« 'Das würde alles auch der Onkel unterschreiben', sagte sich Karl und nickte zustimmend. Gleichzeitig erinnerte er sich, daß er, um den man so besorgt war, sich noch gar nicht vorgestellt hatte. »Entschuldigen Sie, bitte«, sagte er »daß ich mich noch gar nicht vor gestellt habe, ich heiße Karl Roßmann.« »Sie sind ein Deutscher, nicht wahr?« »Ja«, sagte Karl, »ich bin noch nicht lange in Amerika.« »Woher sind Sie denn?« »Aus Prag in Böhmen«, sagte Karl. »Sehen Sie einmal an«, rief die Oberköchin in einem stark englisch betonten Deutsch und hob fast die Arme, »dann sind wir ja Landsleute, ich heiße Grete Mitzelbach und bin aus Wien. Und Prag kenne ich ja ausgezeichnet, ich war ja ein halbes Jahr in der Goldenen Gans auf dem Wenzelsplatz angestellt. Aber denken Sie nur einmal!«...Jedoch wäre Kafka nicht Kafka, wenn Karl gelänge, was nun zu erwarten wäre. Im Gegenteil: Wir werden Zeugen seines kontinuierlichen Abstieges. Karl kommt mit dieser neuen Welt, in die er geschickt wurde, nicht zurecht. Er wird erniedrigt, missbraucht, misshandelt. Im widerfährt eine Kafkaeske Situation nach der anderen, und das ist - rein literarisch gesehen natürlich - auch gut so. Wäre Karl eine reale Person, müsste man zutiefst Mitleid mit ihm empfinden.Es ist die unvergleichliche Sprache Kafkas, die dieses Romanfragment so lesenswert macht. Wer ein Gespür dafür hat, wird dies aus den obigen Zitaten unschwer erkennen. Reizvoll ist natürlich auch das Absurde, das immer wieder unvermittelt so ganz normal daherkommt. Menschen verhalten sich selten so, wie man es erwarten würde, Umstände gestalten sich surreal, Gespräche nehmen aberwitzige Wendungen...Ich schrieb neulich bei der Rezension eines anderen Buches, dass es mir beim Lesen nicht so sehr auf den Schluss, sondern auf den Weg an und für sich ankommt, auf den ein Autor mich mitnimmt. Bei Franz Kafka gestaltet sich dieser Weg abwechslungsreich, bunt geschmückt mit Irrungen und Wirrungen, Überraschungen und Zwangsläufigkeiten, mal gibt es Erfreuliches, dann wieder Entsetzliches... - jedoch niemals Langeweile.Den Erkenntnissen und Mutmaßungen der Kafka-Forschung, der literaturwissenschaftlichen Beschäftigung mit den Texten dieses unvergleichlichen Dichters, entziehe ich mich an dieser Stelle. Das ist mehr etwas für das Abitur oder Literaturstudium. Ob nun die eine Szene ein Sinnbild für Himmel und Hölle sein mag, oder die andere ein Spiegel des eigenen Exilantenschicksals, können wir getrost beiseite lassen, wenn wir ein Buch aus dem Grund in die Hand nehmen, aus dem es jemand geschrieben hat: Zum Lesen! Und das Lesevergnügen ist bei diesem Werk ein ganz beträchtliches.Mein Fazit: Auch für jüngere Semster, die womöglich Kafka noch nicht kennen, wäre dies nach meinem Empfinden ein geeigneter Einstieg in ein einzigartiges literarisches Universum, in dem man nie weiß, was hinter der nächsten Galaxie liegen mag. Man wird es auch oft genug nicht erfahren, denn wenn Kafka uns Lesern irgend etwas schuldig bleibt, dann sind es logische Erklärungen.
8 von 8 Kunden fanden die folgende Rezension hilfreich.
Hervorragender Einstieg in die Welt Kafkas
Von P.A.
Viele Menschen können mit der Literatur des Franz Kafka nicht das geringste anfangen, empfinden sie als unsinnig, als unlogisch oder gar als dämlich, und dies nur weil sie völlig unvorbereitet (praktisch ins kalte wasser gestoßen)einer von Kafkas Erzählungen wie "in der Strafkolonie" oder seiner "Verwandlung" oder seinem (wirklich nur schwer nachvollziehbarem) "Urteil" gegenüber stehen und nicht recht wissen was sie bon dieser völlig neuen art einer geschichte halten sollen und dann eben den Kopf schütteln.Dies kann verhindert werden, nämlich mit einem seichten Einstieg in kafkas werk, meiner Meinung nach ist dies sogar fast pflicht um ihn verstehen zu können (es sei denn man googelt sich schlau- aber davon ist auch nicht viel zu halten).Ich vergleiche dies mit Nietzsche der mit seinem "Zarathustra" ein hervorragendes Werk egschaffen hat, dass man aber gar nicht verstehen kann, wenn man es als erste begegnung mit nietzsche liest.Ähnlich ist es auch mit Kafka.Amerika bietet den perfekten Einstieg in die Welt des Franz Kafka.In diesem Roman sind typisch kafkaeske Elemente, wie die ohnmacht gegenüber dem unverschuldeten unheil, gut eingearbeitet und auch im Rahmen des möglichen.Die Geschichte des Karl Roßman (übrigens die einzige Person in kafkas Romanen die noch einen namen erhalten durfte) der aufgrund einer von ihm verschuldeten affäre nach Amerika übersiedeln, stellt den Leser zwar immer wieder vor Situationen in denen er die handelnden personen (immer diese welche karl urnecht tun) und ihre Beweggründe nicht nachvollziehen kann und mitleid bekommt mit Karl, doch man kann diese Personen wenigstens verstehen, bzw. man kann sich solche Personen real existierend vorstellen, sie wirken nicht so völlig fremd wie der Vater im "Urteil".Zum ende dieser geschichte möchte ich erwähnen, dass Max Brod zwar gesagt hat, kafka hatte sich ein glückliches ende (amerika ist leider nur ein fragment geblieben) vorgestellt, allerdings denke ich das das ende (mit karls reise mit dem Naturtheater) durchaus nicht positiv zu verstehen ist, der grund ist die Kurzgeschichte "Auf der Galerie" in der kafka über eben solche schauspieler schreibt, und er diesen Beruf zutiefst bedauert.Mit diesem Hintergrund kann man sich also denken, wie sehr die Stellung den armen Karl woll befriedigen wird.Amerika ist der erste von kafkas drei großen Romanen, und er dient hervoragend als einstieg in diese düstere und dunkle aber gelichzeitig wunderschöne poetische Welt.Schön ist übrigens auch das Motiv dieses Buches und nicht zu vergessen der günstige Preis.
11 von 12 Kunden fanden die folgende Rezension hilfreich.
Bodenlose Bedrückung und Hoffnungslosigkeit
Von Ein Kunde
„Willst du dir denn nicht den Aufzug unten ansehn?" sagte sie und schob ihn vor sich an das Geländer. „Weißt du, um was es sich handelt?" hörte sie Karl hinter sich sagen und machte ohne Erfolg eine unwillkürliche Bewegung, um sich ihrem Druck zu entziehn. Traurig sah er auf die Gasse hinunter, als sei dort der Grund seiner Traurigkeit.
Meisterhaft, ja wie kein anderer versteht es Franz Kafka auch in diesem begonnenen Roman den Leser in seinen Bann, in die Tiefen des Irrsinns menschlichen Seins zu ziehen. „Die Geschichte, die ich schreibe...ist allerdings ins Endlose angelegt.", schrieb Kafka sinngemäß einmal über dieses Werk, welches er bereits 1912 begonnen, jedoch nie vollendet hat. Diese Aussage charakterisiert vielleicht wie keine andere die Richtung, welche das Fragment von Anfang an nimmt, das Moment welches dieser Geschichte als zentrales zugrunde liegt. Gerade in der „Fassung der Handschrift" sind allerdings noch Kafkas letzte Arbeiten zu diesem Roman enthalten, welche ihn abrunden und sich auch als ein, wenngleich zwar vorläufiges, Ende lesen lassen. Die Unvollständigkeit des Manuskripts ist daher dabei kein Hindernis bei der Lektüre, und vielleicht wurde es deshalb bereits 1927 von Max Brod mit dem Titel „Amerika" veröffentlicht. Kurt Tucholsky jedenfalls äußerte über diesen Roman: „Am schönsten an diesem Werk ist die tiefe Melancholie, die es durchzieht: hier ist der ganz seltene Fall, daß einer >das Leben nicht versteht< und recht hat." Dieser „jemand" trägt im Roman den Namen Karl Roßmann und an ihm ereignet sich das existenzielle Ausgeliefertsein in und an eine schizophrene Welt, das kaum ergreifender, kaum subtiler beschrieben werden kann. Eine Atmosphäre bedrückender Hoffnungslosigkeit erschuf Kafka hier meisterhaft aus sich selbst, aus seiner Eigenwelt heraus, so bedrückend, so erdrückend, wie ein Fisch der auf dem Trockenen liegt und zappelt, seine verzweifelten und doch erfolglosen Versuche, wieder zurück ins Wasser zu kommen.
Die Fassung der Handschrift vermag dieses Kafka-Erlebnis dabei wohl noch am besten zu vermitteln.
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